Tunesien-Liebe

Islamische Ehe in Tunesien

Nikah Urfi - Orfi - Misyaar - Mutah - Salafisten




Zuweilen liest man von sogenannten "Urfi"(Orfi)-Ehen in Tunesien, die vor einem religiösen Geistlichen geschlossen werden - wobei, sogar bei Muslimen, aber in vielen Fällen gravierende Unkenntnis darüber besteht, worum es sich dabei überhaupt handelt, denn weder ist eine Urfi-Ehe wie die andere, noch wird jede Form in jedem islamischen Land anerkannt (in Tunesien wird zum Beispiel gar keine anerkannt).

Dieser Artikel soll einen, nicht abschließenden, Überblick, mit besonderer Beachtung der Situation in Tunesien, liefern.


Den meisten Ehen, die gemeinhin als "Urfi-Ehen" bezeichnet werden, ist es gemein, daß sie allein deshalb geschlossen werden, um den Mann von jeglicher Verpflichtung (Alimente) zu befreien und Regelungen des Glaubens (z.B. Ehebruch) auszuhebeln.
Aus diesem Grunde wird diese Art von Ehen, entgegen allgemeiner Überzeugung, in den meisten islamischen Ländern auch nicht anerkannt. Urfi-Ehen (und deren Geschwister, siehe unten) werden von Männern, namentlich aus Saudi-Arabien, oft dazu "mißbraucht", den Verkehr mit muslimischen Prostituierten zu ermöglichen ohne mit dem islamischen Glauben in Konflikt zu geraten.
Dies ist natürlich auch islamischen Gelehrten bekannt und so gibt es nicht wenige, die diesen Eheformen ablehnend und sogar feindselig gegenüberstehen.

Zunächst muß herausgestellt werden, daß sämtliche nur-religiösen Ehen in Tunesien illegal sind.
Tunesien erkennt nur und ausschließlich die Ehe an, die gemäß der Regelungen des tunesischen Personal Status Code (Personenstandsgesetz) geschlossen werden, also vor einem Beamten des Staates (Notar).
Folgerichtig können in Tunesien aus einer illegalen Ehe keinerlei Rechte und Vorteile gezogen werden.

Wichtig ist es auch, anzumerken, daß die Frau aus einer Urfi-Ehe keinerlei (staatsgesetzliche) Absicherung für den Fall der Scheidung genießt, weder für sich, noch für ihr Kind und daß eine solche Ehe bei Gericht keinerlei Bedeutung genießt.

In einigen islamischen Ländern, wie z.B. Ägypten, kann eine Urfi-Ehe jedoch de facto eine weitere Eheschließung der Frau blockieren, weil sie sich sonst der Vielmännerei strafbar machen würde (der Mann dagegen kann mehrere Frauen heiraten).

Nicht aber in Tunesien, denn dort ist, wie gesagt, eine solche Ehe ohne jede rechtliche Bedeutung!


Nikah Urfi (Orfi)

Wird in Tunesien normalerweise nicht abgeschlossen

Der Begriff "Urfi" meint etwas, daß man als "individuell" bezeichnen kann. Eine Urfi-Ehe ist also eine Ehe, die individuell geschlossen wird und sich NICHT an die Voraussetzungen der Scharia (Einklang des Lebens mit islamischen Bestimmungen) halten muß.
Im Prinzip fallen hierunter sowohl islamisch "gültige", doch auch islamisch "ungültige" Ehen.
Eine Art der Urfi-Ehe ist zum Beispiel die schlichte Übereinkunft der Eheleute, daß sie verheiratet sind. Sie schreiben diesen Satz auf und unterschreiben ihn beide - ohne jede Anwesenheit eines islamischen Religionsgelehrten.

Dann gibt es eine Spielart, in denen zwar die meisten Bedingungen der Scharia befolgt werden und ein Imam die Trauung vollzieht, die Ehe aber "geheim" bleibt, also niemand außer dem Imam, den Zeugen und dem Brautpaar von der Eheschließung weiß. Diese Form der Ehe wird von den meisten islamischen Gelehrten ebenfalls nicht anerkannt, da eine Ehe öffentlich kommuniziert werden muß.

Schließlich gibt es eine Form, in der die Braut nicht die Zustimmung des Vaters zur Hochzeit erhält - auch diese verstößt in den Augen der meisten Gelehrten gegen die Scharia-Bestimmungen, nach denen keine Frau ohne Zustimmung ihres Behüters heiraten darf.

Wichtig ist es hier, auf den Unterschied der Rechtsschulen zu schauen - während in dem einen Land diese Zustimmung fehlen kann, ist sie in einem anderen, das zu einer anderen Rechtsschule gehört, verpflichtend.
Während z.B. in Ägypten eine Urfi-Ehe auch staatlich anerkannt sein kann (doch noch lange nicht jede!), ist dies in Tunesien absolut ausgeschlossen.


Nikah Misyaar (Reise-Ehe)

Wird in Tunesien abgeschlossen.

Viele Personen denken, daß eine Urfi-Ehe eine Urfi-Ehe ist, doch in Wirklichkeit sind, zumindest in Tunesien, fast alle dortigen "inoffiziellen" Ehen keine Urfi-, sondern Misyaar-Ehen.

In Tunesien gilt für Misyaar-Ehen dasselbe, was auch für Urfi-Ehen gilt, nämlich, daß sie illegal sind und vom Staat in keiner Weise anerkannt werden.

Historisch gesehen betraf diese Ehe Frauen, die z.B. weiter von ihrem Vater unterhalten wurden und bei ihm wohnen blieben und Ehemänner, die neben ihrer Frau noch weitere Frauen heirateten, z.B., weil sie auf langen Reisen waren und in dieser Zeit nicht auf Frauen verzichten wollten.

Die Reise-Ehe ist also eine Form der Ehe, bei der sich Mann und Frau auf die Aufgabe bestimmter Rechte einigen. Üblicherweise gibt die Frau ihr Recht auf, vom Mann unterhalten zu werden und der Mann gibt das Recht auf, daß die Frau bei ihm wohnt und für den Haushalt sorgt.
Diese Vereinbarung kann jedoch von der Frau jederzeit widerrufen werden, woraufhin der Mann sie dann in allen Rechten aufnehmen muß - oder sich von ihr scheiden läßt; der Mann hingegen kann die Ehe jederzeit durch Scheidung beenden.

   

Nikah Mutah (Schiiten)

Diese Eheform gibt es nur im schiitisch-islamischen Glauben.

Man muß die Orfi/Misyaar-Ehe von der (nur in der schiitischen Glaubensrichtung existierenden) Mutah-Ehe abgrenzen; die Mutah-Ehe ist eine Ehe, die auf Zeit geschlossen wird, z.B. für einigen Stunden oder Tage, üblicherweise für die Zeit, in der sich Mann und Frau (für den Mann folgenlos, da keinerlei Unterhaltspflicht) vergnügen wollen.


Malikische Glaubensschule

Tunesien gehört, wie fast alle Länder Nordafrikas, mit der Ausnahme von Ägypten (Hanafi, Shafii) zur Glaubensschule der Maliki.
Während prinzipiell die Glaubensschulen nur geringe Abweichungen voneinander haben, kann im Detail, also bei ganz bestimmten Bräuchen, durchaus ein nennenswerter Unterschied bestehen.

So ist es in der malikischen Schule beispielsweise unabdingbar, daß bei einer Ehe sowohl der "Behüter" der Braut (normalerweise der Vater) einer Ehe zustimmt, als auch, daß eine Eheschließung nicht geheim stattfinden kann.
Ehen, die auch nur gegen einen dieser Punkte verstoßen, werden in der malikischen Glaubensschule als nicht gültig betrachtet.

In Tunesien kann daher eine Ehe auch in nur-religiöser Hinsicht nicht ohne Einverständnis des Vaters und nicht ohne öffentliche Nennung der Hochzeit gültig sein - was de facto dann viele, wenn nicht die meisten "inoffiziellen Ehen" dort auch in islamischer Hinsicht ungültig macht und sie als das entblößt, was sie in der Realität sind: ein Papier, das unislamisches Tun (Ehebruch, vorehelicher Geschlechtsverkehr) in den Augen der Gläubigen reinwaschen soll (und dies nur bei denen tut, die sich nicht in den Regularien auskennen, meist junge und/oder Personen niedriger sozialer Schichten ... oder eben gutgläubige Ausländer).


Salafisten und islamische Ehe

Mit dem Erstarken des Salafismus in Tunesien nehmen offenbar auch die Ratschläge von dieser Seite zu, eine "islamische Ehe" einzugehen.

Dies ist, zumindest für Gläubige, eigentlich auch kein Problem, solange dabei die für eine "normale" islamische Ehe gültigen Voraussetzungen vorliegen, namentlich die Genehmigung des Vaters der Braut und die Veröffentlichung der Hochzeit (z.B. durch eine Hochzeitsfeier).
Doch, wenn diese Voraussetzungen vorliegen, dann würde grundsätzlich auch so gut wie nichts dagegen sprechen, die Hochzeit nach den staatlichen Bedingungen und damit mit einer rechtlichen Absicherung für die Frau zu schließen.

Es gilt also uneingeschränkt, daß in Tunesien nur-islamische Eheschließungen illegal sind und daraus keine gesetzlichen Vorteile gezogen werden können. Das Paar gilt also in allen rechtlichen Belangen als unverheiratet.



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